Text von Ludwig Seyfarth zu meinen Texten
Wenn Bildende Künstler Texte schreiben, bedeutet das naturgemäß etwas anderes als bei Kunstkritikern, Philosophen oder Schriftstellern, deren Ausdrucksmittel stets das geschriebene Wort ist. Wenn ein Künstler wie Oliver Ross „auch“ schreibt, stellt sich unmittelbar die Frage, die er selbst so formuliert: „Sollten diese bildlich-abstrakten Gestalten nun in Worte übersetzt werden? Oder regen sie vielmehr zu einem Denken an, das mit einer Übersetzung nichts zu tun hat?“
Texte von Künstlern sind jedoch nicht nur diejenigen, die „neben“ der Kunst entstehen. Schon bei den Dadaisten oder in der Conceptual Art der 1960er Jahre waren Wörter und ganze Sätze, auf Leinwände, Papier oder auf die Wand geschrieben, geklebt oder gedruckt, fester Bestandteil der Kunst selbst. Die Grenze von Texten „in“ und „neben“ der Kunst kann auch durchlässig werden, etwa wenn längere Essays und theoretische Erörterungen eine kongenialen Ergänzung des künstlerischen Werks sind und mit ihm eine gedankliche Einheit bilden – paradigmatisch der Fall etwa bei Dan Graham. Oft jedoch entspricht Künstlertexten „zu“ ihrer Kunst eine Kunst „zum“ Text, die theoretischen Vorgaben folgt und deren ästhetischer Eigenwert der Aufgabe untergeordnet scheint, die Theorien zu illustrieren.
Oliver Ross spricht von Texten „parallel“ zur Kunst, was eine gewisse Gleichwertigkeit ausdrückt, ohne der Kunst selbst ihren Vorrang zu nehmen. „Parallel“ stellt auch die wichtige Unterscheidung zu den Wörtern und Sätzen her, die Ross in seine Bilder und Installationen hineinschreibt bzw. –malt.
Seine Texte sind deutlich von theoretischer Lektüre inspiriert, auch wenn er die „Quellen“ meist nicht dezidiert zitiert. So finden wir keine expliziten Referenzen auf die einschlägigen französischen Denker, deren Namen durch Kunstkritik und –theorie immer noch regelmäßig mehr oder weniger reflektiert hindurchklingeln (Auf einem Kunst-Cartoon von Pablo Helguera steht eine Prostituierte am Autofenster: „It’s 50 Dollars for each reference of your work to Deleuze or Lacan.“).
Derart explizite Angebote nimmt Oliver Ross nicht entgegen, seine Referenzen erfolgen meist implizit. Wenn er die Vorstellung für irrig erklärt, dass Kunst etwas mit Kommunikation zu tun hat, bewegt er sich eindeutig in der Tradition des nicht genannten Adornos, an dessen literarisch oft unterschätzen aphoristischen Sprachduktus auch erinnert: „Die Kunst reflektiert im besten Fall auf sich selbst. Darin gleicht sie der Philosophie.“
Ross’ Texte reflektieren auf die Kunst, aber auch auf die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche und auf neuere Hirntheorien, ohne einem bestimmten „Genre“ wirklich zuzuordnen zu sein. Manchmal sind sie fast literarisch, dann wieder pamphletartig oder skeptisch und nachdenklich. Auch wenn Ross deutliche und mitunter apodiktisch klingende Aussagen trifft, nimmt er weder eine klare Anti-Position ein, noch findet Propaganda für bestimmte Ideen statt. Oliver Ross verfasst keine Manifeste, auch wenn die Sprache bisweilen an expressionistische und andere Texte des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Die meist kurzen Essays bilden eine Art Gedankentagebuch, das mit großer sprachlicher Virtuosität wieder unterschiedliche Stil- und Stimmungslagen anschlägt. Wenn Oliver Ross über andere – befreundete – Künstler schreibt, wie A. C. Kupper, Simon Starke oder Kerim Seiler, wird die präzise Auseinandersetzung mit ihren „Arbeiten“ auch wieder zur Befragung und Vergewisserung der eigenen Arbeit.
Aber worin besteht künstlerische Arbeit? Ist sie eine Arbeit wie jede andere? „Bei der Herstellung dieser Gebilde war zwar eine zeitaufwendige und auch anstrengende Tätigkeit von Nöten, die man aber nicht mit Fleißarbeit verwechseln sollte.“
„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, könnte man mit Karl Valentin sagen (er wird einmal direkt zitiert, aber mit einem anderen Bonmot), der den Begriff der Arbeit vielleicht genauer reflektiert hat als es heute meist geschieht: Oliver Ross bemerkt: „Künstler nennen ihre aktuellen Werke oft ‚Neue Arbeiten’, was sich vielleicht nur einem Übersetzungsfehler aus dem Englischen verdankt. Work: Arbeit, Werk.“ Wenn die Resultate künstlerischer Arbeit auf den Begriff „Arbeit“ reduziert werden, unterschlägt das auch die Vielfalt der Materialien und Techniken, die besser benannt werden sollten.
Goethes berühmtem Ausspruch „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein“ zufolge wäre „Arbeit“ ein Wort, das sich an die Stelle gedanklicher Arbeit am Begriff eingestellt hat. Sprachliche Reduktionen, wie sie Oliver Ross immer wieder befragt, sind auch gedankliche, und das kann weitreichende Folgen haben. Wo ist beispielsweise das komplexe, künstlerisch produktive Potential geblieben, für das es früher den Begriff „Melancholie“ gab? „Was sich in der Romantik noch als Melancholie retten konnte, heißt heute Depression: Sinnlose Dauer mit Lichtmangel statt traumartiger Weltschmerz im Kerzenschein.“ Und: „Immer diese Depriseuche, Ihr habt die Melancholia abgeschafft, das ist Euer größtes Verbrechen!“
Nicht nur ökonomische, auch psychische Spielräume werden im fortgeschrittenen neoliberalen Zeitalter immer kleiner. Da ist eine reichhaltige Sprache nötiger denn je, denn: „Wenn Sprache nicht ökonomisch missbraucht wird, fängt sie nämlich an, selbst etwas zu wollen.“
Ist die Depression die den kapitalistischen Verwertungsmechanismen unterworfene Nachfolgerin der Melancholie? Und sind künstlerische Visionen, die melancholischen Stimmungen entspringen, nur noch messbare Abweichungen von einer statistischen Norm? „Künstler beim Psychotest, da lachen ja die Hühner! Die Künstlerkrankheit ist das Gesündeste, was es überhaupt gibt, aber sag‘ das mal einem Seelen-Ökonom...pah!“
Oliver Ross beharrt auf der Relevanz des aus sich selbst heraus, ohne strategisches „Netzwerk“ und ohne selbst- oder von außen bestimmten sozialen „Auftrag“ arbeitenden Künstlers. Er bezeichnet seine Installationen als „Hinterlassenschaften eines post-existentialistisch geprägten Individualisten“. Das ist auch ein Bekenntnis zu einer gewissen Hermetik („Der Kunst ist egal, wer sie sieht“), zu dem „Werk“, an dem sich der Künstler selbst und die Rezipienten abarbeiten können, ohne interaktiv in zeitlich begrenzte Aktionen eingebunden zu werden. Dass das prozessual Offene, das Unabgeschlossene dem „vollendeten“ Kunstwerk als avancierter vorzuziehen sei, ist eine heute ebenso oft geäußerte wie unhinterfragte Ansicht. Dass Kunst sich in Formen der Kommunikation „auflöst“, könnte aber auch als Verweigerung einer Kontinuität gesehen werden, als eine Ungeduld, die sich auf Hermetik und Selbstbezüglichkeit nicht einzulassen vermag – und überhaupt auf eine Kunst, die nicht ökonomisch oder kommunikativ „verwertbar“ ist. Dem heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachtbaren Bestreben nach unmittelbarer Verdaulichkeit und Konnektivität, hinter dem auch eine Verweigerung des Erwachsenwerdens steckt, stellt sich Oliver Ross sowohl mit seiner Kunst als auch mit seinen Texten deutlich entgegen.
Text by Cora Waschke (in Cat. 8. Bremer Kunstfrühling)
Alles ist bunt und bunt ist Alles. Eine Begegnung mit den Werken von Oliver Ross fordert den menschlichen Wahrnehmungsapparat heraus. Ungeordnet, ungefiltert scheinen sämtliche Informationen unserer Welt auf eine absolut dringliche Ebene gebracht, die sich im Konvolut der Gegenstandsfarben signalhaft zu Auge und Wort meldet. Gleichzeitigkeiten wie kontradiktorische Widersprüche werden gesucht und gefunden. Die Wahrnehmung der Welt zeigt sich mit der von Kunst untrennbar verbunden. So wirkt eine Fußmatte als Werk von Frank Stella und eine Schokoladentafel als Schwarzes Quadrat. Es steckt der Beuyssche Gedanke einer Gegenständlichkeit abstrakter Formen in diesem Spiel. Die Frage nach der Kunst wird gestellt, die Antwort bleibt offen. An ihrer Stelle steht das Werk. Das Werk ist – die Welt ist; soweit die Faktenlage. Alles darüber hinaus ist Ansichtssache: „Ihr nennt es Kunst – wir noch lange nicht“ heißt es in des Künstlers Rossologischen Contradictionary, das dem positivistischen Versuch, die Welt definitorisch wiederzugeben, Widersprüche als Annäherung an ‚Wahrheit’ gegenüberstellt.
Rossology: Letzte Seele Mobil (2014) reflektiert die Untrennbarkeit von Innen und Außen, von Strukturen des Wahrnehmungsapparats und Strukturen der wahrgenommen Bilder. In Form eines Schlunds und Trichters, dessen beidseitig bespielte, bewegliche Module Innenwand wie Außenwand bilden können, wird die sich wechselhaft beeinflussende Beziehung zwischen Input und Output offenbar. Im Dead End hängt ein „seelenloser Geselle“, körperlos, außer einem Plastikhirn physisch nur durch Kleidung präsent. Im Innern leuchtet sphärisches Licht in wechselnden Farben. Außen laufen mit Spritzen injizierte Primärfarben durch transparente Adern. Innen ist Außen, Außen ist Innen, Alles ist bunt, bunt ist Alles, bunt ist bunt, Alles ist Alles.
Anna Blume jr.
INNENWELTHYPOTHESE
Liebe Mitmenschen,
der hier ausstellende Künstler Oliver Ross hat mich gebeten, Ihnen einen kleinen philosophischen Exkurs zuzumuten. Und zwar zu dem von ihm als Titel seiner Installation gebrauchten Begriff „Innenwelthypothese“. Er hält mich für zuständig, weil ich mich in einem philosophischen System namens „Neue Phänomenologie“ einigermaßen auskenne, einer philosophischen Richtung, die von dem in Kiel lebenden Philosophen Hermann Schmitz vertreten wird und derzeit auch unter Künstlern immer mehr Rezipienten findet. Das ist auch nicht verwunderlich, weil diese Philosophie erstens sowohl eine Dekonstruktion als auch eine Revision des Subjekts beinhaltet – eine Dekonstruktion des traditionell verstandenen „Subjekts“ und seiner sogenannten Innenwelt und eine Revision von „Subjektivität“ in Form einer Phänomenologie der Leiblichkeit –, zweitens auch eine damit verbundene Dekonstruktion des sogenannten Außenraums, wie ihn die Mathematik und Geometrie berechnet und wie ihn die Architektur strukturiert, wenn sie sich lediglich an seine dimensionalen Aspekte und Koordinaten hält, und nicht auch noch leibliche, atmosphärische oder gar ästhetische Aspekte des Raums berücksichtigt, wie das z. B. der hier ausstellende Künstler mehr oder weniger auss chließlich tut.
Was besagt nun der von Oliver Ross als Titel für seine Installat ion benutzte Begriff „Innenwelthypothese“? Die Rede ist natürlich von der menschlichen Innenwelt. Eine ganze Branche lebt von ihr, die Theologie, die Psychologie, die Psychoanalyse und andere, auf der Innenwelthypothese beruhende Deutungssysteme; auch große Teile der sogenannten Kunsttheorie. Vermutet bzw. angenommen wird ein immaterielles „Inneres“, eine „Seele“ des menschlichen Subjekts. Das materiell bzw. objektiv Wahrnehmbare dagegen ist dann in der sogenannten Außenwelt. Auch wir selbst natürlich als körperlich-organische Lebewesen.
„Innen“ und „Außen“, das hat eine lange philosophische und ideo logische Tradition, die schon zurückgeht auf die sogenannten Vorsokratiker, insbesondere auf Demokrit, der ca. 470-380 vor Christus lebte und die dualistische Gebietseinteilung in Innen- und Außenwelt in seiner Lehre festschrieb. Vor Demokrit gab es eine solche strikte Trennung nämlich noch nicht. Wie die epischen Werke Homers belegen, erlebte und verstand man z. B. die Gefühle – etwas also, das heute eindeutig zum privaten Inneren des Menschen gehört – keineswegs als innere Privatangelegenheit. Gefühle erfuhr man als überindividuelle atmosphärische Mächte – z.B. als „Eros“ und „Phobos“, also göttlich/dämonisch personifiziert – in einer weder als „Innen“ noch als „Außen“ ge kennzeichneten Räumlichkeit von Kultur und Natur. Die Menschen erlebten und verstanden sich als von diesen göttlich atmosphärischen Mächten „ergriff en“ und „besessen“. Sowohl ihr Fühlen als auch ihr Denken und Handeln war göttlich/dämonisch ( ‚fremd‘-) bestimmt. Durch den bei Demokrit, Platon und Aristoteles vorbereiteten, im Christentum festgeschriebenen und in der europäischen Renaissance z. B. durch Descartes radikalisierten Dualismus von Seele/Geist einerseits, und Körper andererseits, zerfiel in der europäischen Neuzeit für jedes Subjekt sodann die W elt in eine Außenwelt und eine davon streng abgegrenzte Innenwelt. Wie eine Festung mit dicken Mauern und schmalen, schießschart-ähnlichen Fenstern zeichnen die philosophischen Theorien die Innenwelt. Sie sei von allen sogenannten äußeren Sinneseindrücken und Einfl üssen entschieden getrennt und damit – und darum geht es – vor ihnen durch rationale Kontrolle auch weitgehend gesichert. Nur kleinstteiliges, vereinzeltes Datenmaterial könne von der Außenwelt ins Seeleninnere gelangen; nur das, was dur ch die schmalen Seelen-Fenster und Kanäle hindurch passe. Platon nannte diese Kanäle dann „Sinnesorgane“. Erst im Seeleninneren, insbesondere unter Zuhilfenahme des Verstandes, würden die einzelnen Sinnesdaten zu vollständigen Gegenstandsvorstellungen zusammengesetzt bzw. ergänzt. Das heißt: Laut Innenwelthypothese macht das Subjekt die äußere Gegenstandswelt in seinem Inneren größtenteils selbst.
Am entschiedensten formulierte der Philosoph und Mathematiker Leibniz diesen Aspekt der Innenwelthypothese: Das seelisch-geistige „Innen“ wir d bei ihm zur geschlossenen, fensterlosen „Monade“, deren Außenerkenntnis nichts ist als das Produkt innerer, monadischer Erkenntnis. Alles, die gesamte Welterkenntnis, ist danach Innenerkenntnis. Übereinstimmung der Monadenerkenntnis – auch der Monaden untereinander – mit dem darin Erkannten, unterstellt im Übrigen seine prästabile Harmonielehre.
Auch die Psychoanalyse, insbesondere Freud, der den Seelenbegriff in die naturwissenschaftlich orientierte Medizin zurückzuholen versucht, überwindet den strengen Dualismus von Außen und Innen nicht. Genau wie seine philosophischen Vorgänger, entwirft auch Freud die Seele bzw. „Psyche“ nach Art einer Festung, die von außen, z. B. für den Therapeuten, nur äußerst schwierig – nämlich nur in langjährige n Therapiesitzungen – zugänglich ist. Bis heute lehren insbesondere Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorien, dass unsere Innenwelt so etwas ist wie eine „innerpsychische Repräsentation“ dessen, was wir in der Außenwelt wahr nehmen. Das ist durchaus noch „monadisch“ gedacht, wobei die gegenwärtige Neurowissenschaft die innere Repräsentation der Welt aber im außen-sichtbaren Gehirn zu lokalisieren versucht – woran Sie sehen, dass die sogenannte Innenwelthypothese spätestens hier paradox wird.
Wissenschafts- und kulturgeschichtlich verlief die Zerlegung der atmosphärischen Gefühlsmächte, ganzheitlich wahrnehmbaren Eindrücke, Situationen usw. in kleinteiliges Sinnesdaten-Material – und dann die Introjektion dieses Datenmaterials in die private Innenwelt – parallel mit einer Vereindeutigung der Außenwelt, die Demokrit, im historischen Vorgriff , bereits als „leeren Raum“ bestimmte, der als Bausteine alles Seienden lediglich Atome enthalte. Die von der Außenwelt abgeschlif fenen, in die Innenwelt entsorgten atmosphärischen Gefühlsmächte wurden z. B. auf sogenannte „Triebstrukturen“ zusammengekürzt und der kontrollierenden Vernunft unterstellt. Vielsagende Eindrücke, wie sie sich bei unbefangener Wahrnehmung der uns umgebenden Dinge zeigen, wurden zum privatsubjektiven Spiel degradiert und den Kindern und den Künstlern überlassen. Allerdings brachte dieser Prozess einer Introjektion und die damit verbundene „Entzauberung der Welt“ eben auch eine Menge Vorteile: Intermomentane und intersubjektive Identifi zierbarkeit der wenigen übriggebliebenen Merkmalsklassen im Außenraum, personale Emanzipation und Selbstermächtigung auf Seiten des Subjekts als einer Reduktions- und Kontrollinstanz sowohl in der Außenwelt als auch in der „triebhaften “ Innenwelt.
Aber eben deshalb hält sich auch die aktuelle Hirnforschung noch auf mit den Folgen jener von Hermann Schmitz so bezeichneten „Innenwelthypothese“ – u. a. nämlich mit einer allzu starken Dichotomisierung zwischen Subjekt und Welt: Noch in seinem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel „Ich fühle, also bin ich“, unte rläuft dem Neurologen Antonio Damasio der resignierende Satz: „Ich habe keine Ahnung, wie genau neuronale Muster und Vorstellungen die Objekte wiedergeben, die sie bezeichnen. ... Neuronale Muster [sind ja] ebenso sehr Konstrukte des Gehir ns, wie sie Produkte der äußeren Wirklichkeit sind, die ihre Hervorbringung veranlasst. (Unsere Vorstellungsmuster sind kein absolutes) Abbild des Objekts der Außenwelt. Wie es tatsächlich beschaffen ist, wissen wir nicht.“ (Damasio, S. 385)
Wenden wir uns deshalb wenigstens am Schluss unserer kurzen philosophischen Exkursion den problembewussten Kindern (bzw. in diesem Fall:) Künstlern zu, die mir diesen Exkurs aufgetragen haben: Oliver Ross betont mit seinem der Neuen Phänomenologie für diesen seinen Kasten entliehenen Titel „Innenwelthypothese“ eben den bloß hypothetischen Charakter solcher Innenwelt, genannt „Seele“, „Psyche“, „Ich“, „Subjekt“ usw..
Als ästhetischer Reste-Verwerter unserer naturwissenschaftlich fundierten Produktion installierte er in seiner hypothetischen Innenweltkiste dann alles Objektiv-Brauchbare gewissermaßen ins Unbrauchbare bzw. in einen anderen Nutzen – in einen ästhetischen Anschauungs- und Erkenntnisnutzen – hinein. Ursprüngliche Funktionen und Zweckbestimmungen der installierten Gegenstände werden dadurch gewissermaßen disfunktionalisiert, ihr Nutzwert hat sich aber zugleich ästhetisch vervielfacht, da die Gegenstände jetzt auf weitere Bedeutungszusammenhänge verweisen ... bis hinein ins sozusagen „Entropische“. Ehemalige Nutz- und Bedeutungsformen der Gegenstände werden – als Implantat einer Innenwelthypothese – relativiert und der ästhetischen Verwertung oder „Verdauung“ zugeführt. Unter dem Aspekt der Verdauung wird womöglich auch die Neigung des Künstlers plausibel, die ganze sogenannte Innenwelt in ein organisch anmutendes Ornament einzubinden. In einen innerweltlichen ornamentalen Organismus sozusagen. Die Frage, ob eine solche in der Museums-Kiste aufgebaute Innenwelt-Kiste, die ihrerseits viele bisherige künstlerische Innenwelten zitiert bzw. recycelt, ob also ein solches Tun wiederum als Kunst aufzufassen ist, das hängt, wie Immanuel Kant schon wusste, von den ästhetischen Vorinformationen ab, die die individuelle Geschmacksbildung beim Fühlen von „Lust“ oder „Unlus t“ mitbestimmen. Dafür wiederum ein verbindliches Regelsystem zu konstruieren, also verbindliche Kriterien für ästhetische Objekte überhaupt, das ist sogar Kant gottlob versagt geblieben. Ich danke für das Zuhören.